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Verwaltungsstadt, trübes Wetter, alles grau, trotzdem schön.

Nach zwei Tagen eingequetscht in Flugzeugen und Bussen sind wir in Puerto Montt, einer Hafenstadt im sogenannten »kleinen Süden« Chiles. Mit dem nächsten Bus die nächsten drei Stunden weiter bis in das Dorf Cochamó.

Von dort aus geht’s für uns in Gummistiefeln und für unsere Haulbags hoch zu Ross weiter die 13 matschigen Kilometer bis zum »Basislager«, dem Campingplatz »La Junta«. Hier treffen sich Trecker auf ihrem Weg nach Argentinien, feierwütige Kids aus Puerto Montt, wandernde Chilenen und ein paar Kletterer.

Im Moment ist es noch ruhig. Nur ein paar Vögel hüpfen durch die Gegend und die Condore ziehen ihre Kreise über unseren Köpfen. Wir packen aus, wir packen um, und wir packen wieder ein. Der Fels ruft, wir wollen endlich mal wieder platte Arme haben. Aber zuerst müssen nochmal die Beine ran – die Zustiege hier sind nicht im Dolomiten-Stil mal eben in einer Stunde erledigt, dafür ab jetzt wieder mit vernünftigen Schuhen.

Drei Tage verbringen wir im »Anfiteatro« und klettern bestehende Routen. Wahnsinns Granit, perfekte Risse, schon auch etwas Gestrüpp … Dann kommt der berühmt-berüchtigte Regen. An solchen Tagen lernt man das Nichtstun. Während unserem ersten Ausflug ins Anfiteatro haben wir eine mögliche Linie ausgespäht, die über ein feines Risssystem in eine riesige Verschneidung führt und über ein kleines Dach und weitere Risse zum Gipfel. Dem Gestrüpp in den Rissen nach zu urteilen eine jungfräuliche Linie. Und Gestrüpp bedeutet auch, das da irgendwas ist, wo Wurzeln drin wachsen können, wo, wenn keine Wurzeln mehr drin sind vielleicht unsere Finger und Friends reinpassen.

Am nächsten Schönwettertag steigen wir zum vierten Mal Richtung Anfiteatro, suchen durch das Dickicht unseren Weg zur Wand und fangen an uns hochzuarbeiten. Die uns allen bekannte und manchmal gefürchtete Schwerkraft bewirkt, dass die Äste der Büsche leider genau entgegen unserer Fortbewegungsrichtung wachsen – Äste runter, wir rauf – und daher wie Wiederhaken wirken. Nachdem uns keine Informationen über Haltekräftetests der Sicherheitsforschung in Bezug auf überhängendes Buschwerk vorliegen, versuchen wir immer möglichst viele Äste auf einmal in die Hand zu bekommen … quasi Ausgleichsverankerung. Mühsam.

Am Abend liegen wir in unserem Luxus-Biwak im Wald: weicher Boden, durch die Bäume wohltemperiert, trocken … Wie in einer Blase, einem kleinen Parallel-Universum. Heute ist Weihnachten? Wen interessierts?

Am nächsten Morgen geht die Reise weiter. Über unsere fixierten Seile an den Umkehrpunkt von gestern, weiter durch die Risse bis unter die große Verschneidung. Hier trennen uns 5 verdammt glatte Meter vom nächsten Risssystem. Verdammt, kein Weiterweg ohne bohren und bohren wollen wir nicht.

Nach viel hin und her und langem Überlegen entschließen wir uns zur Umkehr. Die Punkte »Abseilen an senkrechtem Erdhaufen« und »Abseilen an Vegetation aller Art« auf der Wollt-ich-immer-schon-mal-machen-Liste können damit auch abgehakt werden.
Niedergeschlagen, erdig und vom Gestrüpp zerkratzt ziehen wir mit unseren riesigen Haulbags ab wie zwei getretene Hunde.

Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man. Und hätten wir es nicht probiert, würden wir jetzt hier sitzen, diese Geschichte (oder eine andere) schreiben, und uns dabei die ganze Zeit denken: diese Linie, die müssen wir unbedingt noch mal probieren! »Juntos Fuerte«: am Ende ist dabei immerhin eine schöne Linie bis auf das Band herausgekommen, welchen neumodischen Kletterer interessiert schon das Schrofengelände zum Gipfel 😉

 

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