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Die Alpen sind mein tägliches Sehnsuchtsziel. Wenn ich morgens mit meinem Hund Gassi gehe, haben wir die Berge direkt vor der Nase. Nach einer halben Stunde kehre ich beim Gassigehen normalerweise um. Aber wie wäre es, einfach weiter zu laufen? Bis zu den Alpen?
Von dieser Mehrtageswanderung mit Hund habe ich lange geträumt. Jetzt gehe ich es an: Ich will von Schäftlarn, meinem Wohnort, bis nach Innsbruck laufen, gut 130 Kilometer in einer Woche. Mein Hund Oskar, ein schwarzer Labrador, ist drei Jahre alt und topfit, ihm traue ich die Distanz und die gut 3000 Höhenmeter zu.
Es ist ein idealer, sommerlicher Wandertag. Sonnig, aber nicht zu heiß, der Himmel ist etwas dunstig, die Berge sind eine bläuliche Silhouette. Oskar ist hoch motiviert, er wedelt und hechelt aufgeregt. Der Hund merkt sofort, dass wir zu einem ganz, ganz großen Gassigang aufbrechen, weil ich den Rucksack aufgesetzt habe, das würde ich bei einer kleinen Runde nicht tun.
Ich will in Pensionen und Hütten übernachten. Wegen Oskar verzichte ich auf Kletterpassagen und Alpenvereinshütten mit Massenlager. Stattdessen habe ich eine ruhige, wenig begangene Route über den Isar-Loisach-Jakobsweg gewählt, mit leichten Abwandlungen. Zunächst einmal dackeln wir wie jeden Morgen die Allee entlang Richtung Wald, Oskar kennt hier jeden Baum mit Vornamen.
Die Strecke von München nach Innsbruck bin ich mit dem Auto oder im Zug zigmal gefahren, zum Wandern und Skitourengehen in Tirol oder auf dem Weg in den Urlaub nach Italien. Mit dem Auto brauche ich eineinhalb Stunden bis Innsbruck, für die Alpenüberhundung plane ich sieben Tage.
Oskar geht es anfangs nicht schnell genug. Er zieht kräftig an der elastischen Laufleine, die ich mir um die Hüfte gebunden habe, damit ich die Hände frei habe. Die ersten zwei Tage sind gut zum Einlaufen, der Kies knirscht beruhigend unter meinen Schuhen. Während Oskar eine Naturbegabung ist (und auch kein Gepäck schleppt), muss ich erstmal langsam reinkommen in einen guten Rhythmus.
Wichtigstes Ziel: Der Rucksack muss möglichst leicht sein, er sollte maximal zehn Kilo wiegen. Bei der Ausrüstung müssen Fernwanderer minimalistisch bleiben: knöchelhohe Bergstiefel, Wanderstöcke, Wasserflasche, Stirnlampe, zwei Hosen, zwei Shirts (am besten Merino), zweimal Unterwäsche, zwei Paar Wandersocken, Softshell- oder Fleecejacke, Regenjacke, Regenhose, Handschuhe, Mütze, Sonnenbrille, Sonnencreme, Hüttenschlafsack, Zahnbürste. Es empfiehlt sich, ein Paar leichte Schuhe zusätzlich mitzunehmen. Nicht vergessen: Kleines Erste-Hilfe-Set, Blasenpflaster und Hirschtalg für die Füße. (–> Mehr erfahren: Blasen beim Wandern vorbeugen und behandeln)
Auf der fast zehn Kilometer langen, schnurgeraden Strecke entlang des Loisachkanals von Wolfratshausen bis Beuerberg funktioniert das gut. Unser Trott wird nur kurz unterbrochen, wenn Oskar zum Abkühlen ins Wasser springt. Am Abend des ersten Tages sitze ich müde und zufrieden im Biergarten des Gasthauses »Zur Mühle«.
Die Etappe von Beuerberg nach Benediktbeuern ist eine Parade-Panoramatour durch das bayerische Voralpenland. Wir wandern mit Blick auf Kuhweiden und Kirchtürme durch die hügelige Landschaft. Es ist schwül und drückend, Oskar springt immer wieder in Brunnen am Wegesrand. Die Route führt in diesem Abschnitt nicht mehr direkt an Isar oder Loisach entlang, stattdessen durch Wälder und über Felder, auf denen es nach frisch gemähtem Gras und Kühen riecht.
Nach zwei Tagen kommen wir in Benediktbeuern an, am Fuß der Berge. Ab hier geht es ernsthaft bergauf. Ich füttere Oskar und gehe essen. Als ich ins Zimmer zurückkomme, schnarcht der Hund friedlich. Draußen heult der Wind eher unfriedlich.
Am nächsten Morgen ist es kühl und feucht, Nebel liegt über den Wiesen. Der Wanderweg geht aufwärts in Richtung Rabenkopf, einem 1555 Meter hohen, waldigen Voralpengipfel. Oskar arbeitet wie eine Zugmaschine, er stapft voraus und zieht mich bergauf.
Ich frage mich, was Außerirdische wohl über uns denken würden, wenn sie uns durch ein Teleskop von oben beobachten würden: Ein zweibeiniges großes Wesen mit zehn Kilo Gepäck inklusive Hundefutter auf dem Rücken, das von einem schwarzen Vierbeiner an der Leine gezogen wird – wer ist wohl die intelligente, herrschende Rasse auf diesem Planeten? Egal, die hundeantriebslosen Wanderer, die wir überholen, sind neidisch auf meinen vierbeinigen Traktor.
»Schwindelfreiheit erforderlich« steht auf dem Hinweisschild. Beim Abstieg vom Rabenkopf in Richtung Jachenau geht es steil bergab durch die Rappinschlucht. In der Nacht hat es geregnet, die Felsen könnten rutschig sein. Am Waldrand kommt mir eine Gruppe Seniorinnen um die 70 entgegen, sie stapfen schnaufend bergauf. »Wie ist der Weg zu gehen?«, frage ich die erste von ihnen. »Gut, aber langweilig!«, knurrt sie.
Weiter unten komme ich in eine spektakulär schöne Landschaft: hohe Felswände, unten türkisgrünes Wasser in Gumpen, der schmale Weg windet sich durch eine schwindelerregend tiefe Schlucht. Langweilig? Ich frage mich, wie aufregend das Leben dieser Seniorin sein muss, dass sie so etwas als langweilig bezeichnet.
Gegen Mittag erreichen wir den Walchensee, der aussieht wie eine Mischung aus karibischer Lagune und norwegischem Fjord. Kristallklares, türkisfarbenes Wasser, weißer Strand. Oskar hüpft sofort in das angenehm kühle Wasser und paddelt wohlig grunzend im Kreis.
Ich ziehe die Badehose an und tue es ihm gleich, verkneife mir aber das Grunzen. Wenige Meter weiter liegen Jugendliche auf Badetüchern, die alles mit ihren Smartphones filmen, was sich bewegt. Ich will nicht als altes weißes Seeungeheuer in irgendeinem YouTube-Clip auftauchen, auch wenn das junge schwarze Seeungeheuer neben mir sehr fotogen wirkt.
Von Mittenwald aus wandere ich rechts der Isar durch ein Naturschutzgebiet. Kiefern knarren im Wind, das weißblaue Wasser des Gebirgsflusses rauscht über große Steine. Nur 200 Meter entfernt auf der anderen Seite der Isar rauscht der Verkehr auf der B11, die von München nach Innsbruck führt. Mich überrascht es immer wieder, wie nah die Hauptverkehrsadern und die Naturidylle in den Alpen nebeneinander liegen, und wie sehr sie sich gegenseitig beeinflussen, negativ wie positiv.
Gegen Abend erreichen wir den Grenzort Scharnitz. Seit 2018 wird der Durchgangsverkehr durch einen Tunnel am Ort vorbeigeführt, und seitdem ist das Dorf noch ruhiger als vorher. »Man könnte sagen: tote Hose«, meint Helga Schallhart, die Wirtin der Pension Helga, in der Oskar und ich übernachten. Seit es die Umfahrung gibt, haben noch mehr Läden und Gasthäuser dicht gemacht. Die fürsorgliche Wirtin bietet an, eine Gemüsesuppe für mich zuzubereiten, da sage ich nicht nein. Nach der gesunden Stärkung falle ich glücklich ins Bett, über dem ein Bild mit einem röhrenden Hirsch hängt und zu dessen Füßen ein schnarchender Labrador liegt.
Die letzten beiden Etappen auf meiner Tour sind die schwersten. Es geht auf steilen Pfaden über Stock und Stein durchs Karwendel. Hinter Scharnitz biegt ein enger Pfad in die Gleirschklamm ab. Rechts und links ragen steile Wände auf, unten brodelt das Wildwasser. Umgestürzte Baumstämme stecken wie Zahnstocher im offenen Maul der Schlucht. Oskar wittert Ungemach, knurrt und zerrt an der Leine. Er riecht etwas, was ich erst viel später sehe …
Auf der anderen Seite der Schlucht, keine 20 Meter Luftlinie entfernt, steht eine Gams mitten in der Steilwand. Sie stößt ein warnendes Pfeifen aus. Ich habe Sorge, dass der Hund vor lauter Aufregung in die Schlucht springt und klicke den Karabinerhaken seiner Leine in ein Drahtseil ein, das neben dem Pfad angebracht ist.
Mit viel Ablenkung durch Leckerli lotse ich ihn aus der Gefahrenzone. Kurz darauf durchqueren wir eine Herde neugieriger Jungkühe, die sich nur durch laute Rufe und Stockeinsatz davon abhalten lassen, den Hund anzuknabbern. Später passieren wir eine Steinbock-Kolonie mit Jungtieren, Oskar hat großen Respekt vor diesen Riesenhornviechern, die ihn wachsam beäugen.
Weitwandern mit Hund in den Alpen ist nicht ungefährlich, man sollte sich vorher mit den Regeln vertraut machen. Neben der Ablenkung durch Wild und freilaufende Weidetiere am Wegesrand kommt auf unserem anspruchsvollsten Abschnitt nun auch noch das Wetter als Gefahr hinzu.
Weidevieh, Wild, Steilwände: Es gibt viele Gründe, Hunde beim Wandern in den Bergen nicht frei laufen zu lassen. Meistens muss der Begleiter aus Sicherheitsgründen an der Leine bleiben. Dazu empfiehlt sich eine lange, flexible Joggingleine mit Ruckdämpfer, die man an einem Gurt um die Hüfte befestigt, und ein geeignetes Geschirr. Unfälle mit Kühen auf Almen können übel enden, deshalb müssen Wanderer mit Hund hier die Regeln beachten (und vorher üben): Hunde in Gebieten mit freilaufenden Weidetieren grundsätzlich an der Leine lassen.
Wenn Rinder den Hund attackieren, was bei Mutterkühen mit Kälbern und Jungbullen vorkommen kann, den Hund allerdings ableinen, damit er flüchten kann. Fernwanderungen mit Hund müssen sorgfältig geplant werden: Übernachtungsplätze auf Berghütten für Besucher mit Hund sind rar, außerdem dürfen die Etappen nicht zu lang und zu steil sein, damit der Hund nicht überfordert wird. Auch der Deutsche Alpenverein hat Tipps fürs Wandern mit Hund.
Oskars Pfoten haben die lange Tour auf teils sehr rauen Wegen gut überstanden. Und auch unser Autor Titus hatte keine Probleme mit Blasen oder Druckstellen. Der renommierte Reise- und Alpin-Journalist trägt auf solchen Touren gerne seinen gut eingelaufenen HANWAG Alverstone II GTX. Entdecke auch Du unseren zigfach bewährten Trekkingstiefel.
Am Vortag war es noch so warm und sonnig, dass ich in kurzer Hose und T-Shirt wandern konnte. Jetzt zieht es zu, ich hole Jacke, Mütze und Handschuhe raus. Das Wetter ändert sich oft schnell in den Bergen, auch im Hochsommer kann es auf 2000 Metern schneien. Als es anfängt zu donnern und zu blitzen, laufe ich noch schneller, die Steine werden glitschig, die Leine verfängt sich immer wieder in Latschenkiefern.
Völlig durchnässt kommen wir auf der Pfeishütte an. Wolkenfetzen wabern um das Gebäude, Schneefelder und Nebel verschwimmen zu einem einzigen Weiß-Grau.
Knie und Rücken tun mir weh von der Anstrengung, aber die Schmerzen sind nicht das Wichtigste. Nach einer knappen Woche unterwegs spüre ich die Auswirkungen der Natur auf meine Seele. Wandern hat etwas Spirituelles für mich. Gehen ist für mich wie Meditation. Ich komme dabei in einen Flow, der mich im besten Fall wie von selbst über die Berge treibt.
Während mein Hüftspeck, der sich im Homeoffice angesammelt hat, langsam wegschmilzt, wächst meine innere Zufriedenheit. Selten bin ich so sehr bei mir wie auf stummen, tagelangen Wanderungen durch das karge Hochgebirge.
Nach dem 1500-Meter-Abstieg von der Pfeishütte ins Inntal bin ich ziemlich erledigt. Ein Freund meines Sohnes, der in Innsbruck studiert, holt Oskar und mich mit dem Auto ab. Der Rückweg in Richtung München geht erschreckend schnell, eineinhalb Stunden später stehe ich wieder vor dem Gartentor, an dem ich vor einer knappen Woche aufgebrochen bin.
Oskar trabt freudig ins Haus, als käme er von einer kleinen Gassirunde zurück. Meine Schritte sind schwerer, ich bin erschöpft und habe Kreuzschmerzen. Ein Wellness-Urlaub ist weniger anstrengend als eine Fernwanderung. Aber das Gefühl, eine Woche lang durch die Berge gewandert zu sein, ist unschlagbar.
Hundewelt Kleinwalsertal: Der Spezialanbieter organisiert geführte Wandertouren mit Hunden in den Alpen. Neben der klassischen Alpenüberquerung auf dem E5 sind auch stillere und sanftere Routen im Programm. Vorteil einer geführten Hundetour: Das Gepäck wird transportiert und die Etappen sind alle hundegerecht. Zur Website