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Ich liebe herausfordernde Trekkingtouren durch abgeschiedene Landschaften. Seit 15 Jahren träume ich vom Snowman Trek. Jetzt bin ich 50 – höchste Zeit, diesen Trekkingtraum endlich anzugehen!
Der Snowman Trek gilt als eine der schönsten und zugleich schwierigsten Trekkingrouten der Welt. Beginnend im Parotal im Westen Bhutans zieht sich diese Tour in einem weiten Bogen entlang des Himalaya-Hauptkamms,. Der Weg führt durch das weltabgeschiedene Lunana-Gebiet und erreicht im Osten die Region Bhumtang. Zwischen Start und Ziel liegen rund 360 Kilometer, 14 Pässe sowie unzählige Höhenmeter mit Anstiegen bis auf 5600 Metern.
Die Abgeschiedenheit und das unkalkulierbare Wetter sorgen bei diesem Bhutan-Trekking für zusätzliche Herausforderungen. Angeblich erreicht weniger als die Hälfte aller Snowman-Trekker das Ziel Bhumtang. Oder wie es der Bhutan-Kenner Bart Jordans ausdrückt: »Es standen mehr Menschen auf dem Gipfel des Mount Everest, als den Snowman Trek beendeten.« Prestige ist hierbei aber egal, dafür ist dieser extreme Fernwanderweg viel zu unbekannt.
Nach rund dreistündiger Fahrt stoppt Pema seinen Geländewagen in Shana Zampa, einer Siedlung im Parotal. Ab hier geht es nur noch zu Fuß weiter. Für 26 Tage – wenn man wie ich dem hier beginnenden Snowman Trek folgen will. Hier treffe ich auf die obligatorische Begleitmannschaft, die aus Sonam (Guide), Yeshi (Koch) sowie Dawa und Sangay (die besten ›Kümmerer‹) besteht. Und dann ist da der ›Horseman‹, dessen Pferde und Maultiere die Ausrüstung transportieren.
Von unserem Camp sind es nur ein paar Schritte zum Fluss Paro Chu. Auf dessen gegenüberliegender Seite beginnt mit dem Jigme-Dorji-Nationalpark eines der wichtigsten Rückzugsgebiete für Schneeleoparden in Bhutan. Die Chancen, dem anmutigen Tier zu begegnen, tendiert allerdings gen Null. Als ich es mir im Zelt bequem gemacht habe, muss ich mich kneifen: Ich bin wirklich hier und morgen werde ich mich auf diesen ganz besonderen Weg machen. Dringt das Rauschen des Paro Chu zunächst noch laut und deutlich durch die Zeltwand, scheint er sich irgendwann zu entfernen. Ich falle in einen tiefen Schlaf.
Zwei Tage wandern wir entlang des Paro Chu durch Kiefern-, Eichen- und Rhododendronwälder. Auf unserem Weg passieren wir nur ein paar Häuser und treffen auf erste Yaks. Mit ihrem kräftigen Körperbau, den Hörnern und dem langen Zottelfell sind sie stattliche Erscheinungen, aber mit einer stoischen Ruhe gesegnet.
Wir erreichen Jangothang, dessen wenige Häuser sich um einen mit Gebetsfahnen geschmückten Chorten, einen buddhistischen Reliquienschrein, gruppieren. Auf königlichen Erlass müssen alle Häuser in Bhutan im traditionellen Stil errichtet werden. So wird die jahrhundertealte Architektur von der kleinsten Siedlung bis hin zur rund 80.000 Einwohner zählenden Hauptstadt Timphu bewahrt.
Bis heute ist die Lebensweise der Menschen fest in den uralten Traditionen sowie im buddhistischen Glauben verwurzelt. Aus Respekt dürfen Berge mit einer Höhe ab 6000 Metern nicht bestiegen werden, da ihre eisigen Gipfel die Throne der Götter sind. Einer dieser faszinierenden Riesen ist die 7314 Meter hohe Jomolhari, die Herrin der Götterberg. Mit der Begrüßung »Celebrating living in harmony with the ghost of the high mountains« übernachten wir im Base Camp auf 4100 Metern.
Die nächsten Trekkingtage ähneln einander: Um 6.30 Uhr gibt es heißes Wasser zum Waschen, gefolgt vom Frühstück, danach Abbau des Lagers und Packen der Pferde und Maultiere. Wir starten pünktlich um 8 Uhr. Meist folgt gleich ein langer Anstieg, irgendwann die Querung eines Passes (oder zwei), dann ein langer Abstieg, um in Flussnähe den nächsten Lagerplatz einzurichten. Mit ebensolcher Verlässlichkeit treibt uns allabendlich die dünne kalte Luft der hereinbrechenden Dunkelheit in die wärmenden Daunenschlafsäcke.
Auch wenn sich die täglichen Abläufe gleichen, bei den Landschaften kann davon nicht die Rede sein. Wir verlassen den Paro Chu und queren unseren ersten ›richtigen‹ Pass, den 4890 Meter hohen Nyile La. Auch das Erreichen eines Passes wird von einem Ritual begleitet: Mit dem Ausruf »Lhagyelo!« lege ich auf der Passhöhe einen Stein auf einen Steinhaufen. Das Wort bedeutet so viel wie »Möge Gott das Böse besiegen!« Ein Ritual, das mir Kraft und Motivation gibt.
Das Gleiche gilt für die menschenleeren Landschaften, in denen ich alles andere als Einsamkeit empfinde. Vielmehr erfüllt mich Gelassenheit und Ruhe. Ich bin dankbar, einem Weg zu folgen, der für einen Lebenstraum steht. Auch wenn er unbequem und fordernd ist, weil ich nicht sicher sein kann, mein Ziel zu erreichen. Das ist meine Freiheit.
Je weiter wir nach Osten wandern, desto gewaltiger werden die Berge, rauer und einsamer die Landschaften, die Siedlungen kleiner und deren Abstände größer. Irgendwann treffen wir auf unserem Himalaya-Trekking auf eine letzte Gruppe Nomaden, die sich vor dem einsetzenden Schneefall mit einer über Trockenmauern gespannten Plane schützt.
Dann gibt es nur noch uns, die unermüdlich in große Höhen, dann sogleich wieder hinab in ein nächstes Flusstal steigen. Dort sitze ich Tee schlürfend, betrachte voller Respekt Mensch und Tier. Und nicht selten versinke ich in einen fast meditativen Zustand. Jedenfalls so lange, bis mit untergehender Sonne die Kälte in das Tal einzieht – oder Yeshi zum Abendessen ruft.
Grundsätzlich war es die richtige Entscheidung, diese Himalaya-Reise im jährlich letzten Zeitfenster anzugehen. Zwar wird es im November insbesondere in Höhen von über 4000 Metern bereits empfindlich kalt und es besteht die Gefahr, dass Pässe aufgrund von Schnee unpassierbar werden. Andererseits ist die Chance auf eine stabile Wetterlage mit viel Sonne und sehr klarer Sicht groß.
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So ist es auch auf der Königsetappe am 22. Tag. Nach bitterkalter Nacht in 5300 Metern Höhe folgt ein Tag, an dem gleißender Sonnenschein und stahlblauer Himmel die weiße Bergszenerie mit dem 7570 Meter hohen Gangkar Puensum, dem höchsten unbestiegenen Berg der Welt, geradezu surreal erscheinen lässt.
Höher als an diesem Tag geht’s für uns nicht mehr. Der Snowman Trek hält zwar noch zwei hohe Pässe mit mehr als 4500 Metern für uns bereit. Danach steigen wir aber kontinuierlich ab. In einem engen Tal treffen wir auf einen Wildbach, der die Richtung zu einem einzigartigen Ort vorgibt: Dhur Tsachu. Diese heißen Quellen wurden einst für den großen buddhistischen Lehrmeister Guru Rinpoche angelegt. Einen angenehmeren Ort, um sich für die zurückliegenden Wochen zu belohnen, kann es nicht geben.
Auch wenn bis Bhumtang noch vier Trekkingtage vor uns liegen, stellt sich bereits ein ›Wir haben es geschafft‹-Gefühl ein: Abends serviert Yeshi einen Kuchen, auf dem ›Snowman Trek‹ zu lesen ist. Die Freude und Dankbarkeit über den guten Verlauf unseres Himalaya-Trekkings ist bei allen deutlich zu spüren.
Aber ich spüre auch etwas Wehmut. In Erinnerung an die Worte »Celebrating living in harmony with the ghost of the high mountains« kehre ich mit (m)einem Traum aus Bhutan zurück.